3. Janusz Korczak Symposium -      ein Rückblick

Symposium - Programm

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Hier können Sie die Rückmeldungen der TeilnehmerInnen lesen.

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Experte ist das Kind

 In einer von Erwachsenen dominierten Lebenswelt hätten Kinder nur eingeschränkte Artikulations- und Einflussmöglichkeiten, dieser Aspekt der partiellen Teilhabe würde in letzter Zeit in den Fokus der Kindheitsforschung rücken, wies Agata Skalska M.A., Kindheitspädagogin an der Hochschule Düsseldorf und ausgewiesene Korczak-Expertin, in ihrem Vortrag anlässlich des Syposiums in Wien hin. Skalska, die auch wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsarchiv zur Person und Pädagogik Janusz Korczak`s ist, zitierte den großen Pädagogen, der gemeint hatte, dass Kinder ein Drittel des Bevölkerungsanteils ausmachten, folglich stünde ihnen von den Erträgen und Reichtümern dieser Welt auch ein Drittel zu – und dies zu Recht, und nicht aus Gnade. Korczak sah sich als Kindheitsforscher, der sich mit allen Lebensphasen des Kindes intensiv auseinandersetzte, er sah sich als Nichtwissender. Er kritisierte, dass das Gesagte der Erwachsenen in der Gesellschaft einen viel höheren Stellenwert hätte, als jenes der Kinder und dass man Kinder nicht um ihre Meinung fragen würde. Skalska: „Einen völlig anderen Zugang wählte Korczak. Er führte ernsthafte Gespräche mit den Kindern, sah sie als gleichwertig an und betonte, dass ohne Mitwirkung von Experten eine Verbesserung der Situation nicht bewältigbar wäre – und Experte sei das Kind“. Den Unterschied zu den Erwachsenen sah er nur in der längeren Lebenserfahrung. Das Kind wurde – und wird es teilweise auch heute noch – als etwas Werdendes, Unvollständiges gesehen. Dagegen der Befund Korczak’s: Die Kinder werden nicht erst zu Menschen, sie sind schon welche.

 

Damit es allen gut geht

 Anlässlich des Janusz Korczak-Symposiums in Wien wies Prof. Dr. Michael Kirchner von der Universität Bielefeld darauf hin, dass ein harmonisches Zusammenleben mit Kindern nach Janusz Korczak auf vier Voraussetzungen bzw. Handlungsweisen basiere:         Kommunikation - Partizipation - Kooperation -  Solidarität

Eine gute Kommunikation muss sowohl vom Erwachsenen zum Kind als auch vom Kind zum Kind stattfinden. Die Kommunikation beginne, laut Kirchner, mit dem Zuhören, dem Anhören des Kindes. Scheinbar würden Worte nicht sofort etwas bewirken, aber langsam entstehe ein kollektives Gewissen, eine kollektive Seele in einer Gemeinschaft. „Neben der Intelligenz des Gehirns gibt es auch die Intelligenz des Herzens und des Charakters“, so der Mediziner Kirchner. 

Zweiter Punkt für ein harmonisches Miteinander ist die Partizipation, die Teilhabe, Partnerschaft an einem gemeinsamen Projekt. Dies wurde in den beiden Waisenhäusern, die Korczak leitete, intensiv gelebt. Korczak sagte beispielsweise: „Eine Wirtschafterin, eine Erzieherin, ein Hausmeister und eine Köchin – für hundert Kinder. Wir hatten uns unabhängig von irgendeinem x-beliebigen Personal gemacht. Hausherr, Mitarbeiter und Leiter des Hauses wurde – das Kind.

 Kooperation ist die Integration von Verschiedenheit, jeder trägt nach seinen Kräften bei. Kooperation bedeutet aber auch Hilfe für und Unterstützung von Schwächeren. Auf diesem Grundprinzip bauen auch Genossenschaften auf, deren Motto „Hilfe zur Selbsthilfe“ lautet.

 Solidarität bedeutet Teamwork, das Respektieren von Regeln und von Autonomie. Solidarität soll den Status des anderen fördern, gemeinsames Handeln ermöglichen und moralische Unterstützung geben. Kirchner betonte, dass es in Korczak`s Waisenhaus Pflichtdienste gab, die jeder übernehmen musste. Parallel dazu gab es aber auch freiwillige Dienste, die einen höheren Stellenwert hatten. Kirchner:  „Voraussetzung für Solidarität ist, dass die Mitglieder einer Gruppe Nähe zulassen und Verbundenheit spüren, aber auch Freigabe und Distanz erlauben.“ Er wies in seinem Referat darauf hin, dass Janusz Korczak schon früh die Bedeutung von Peergroups erkannt habe, in denen der einzelne Jugendliche eine soziale Orientierung suche und die ihm als Bezugsgröße diene.

 

Kinder in der Kita

 

Forschungsprojekt: Kinder filmen ihren Kindergarten

 Janusz Korczak, dessen Ideen bahnbrechend in der Pädagogik des 20. Jahrhunderts waren, bestand in den von ihm geleiteten Waisenhäusern auf einer exakten Beobachtung der Kinder, um so mehr über das Kind zu lernen. Auch die Räumlichkeiten von Institutionen, in denen sich Kinder aufhielten, sollten den Bedürfnissen dieser Zielgruppe angepasst sein, forderte er bereits vor einhundert Jahren.

 

Kinder als Stakeholder

 Dieser Ansatz Korczak`s war Agata Skalska M.A., Kindheitspädagogin an der Hochschule Düsseldorf, Inspiration, um die Qualität von Kindergärten (KITA) zu analysieren. Gemäß dem Motto: „Der Wurm muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler“ sollten die Sichtweisen der Kinder in den Mittelpunkt rücken, da sie einerseits die Experten für ihren Kindergarten sind, andererseits auch Anspruch auf die Qualitätsentwicklung in dieser Einrichtung haben. Skalska und ihr Team wählten dafür einen völlig neuen Zugang: Sie statteten Kinder mit Videokameras aus und ließen sie filmen, was ihnen an der Einrichtung wichtig ist. Ergänzend dazu baten sie die Kinder, den Film mit einem Kommentar zu versehen. Das Projekt umfasste 14 Kindertageseinrichtungen für 4- bis 7-Jährige in mehreren Städten. Agata Skalska: „Wir wollten so fundiertes Wissen unmittelbar aus der Perspektive der Betroffenen generieren. Die Kinder wurden als Stakeholder, also als Interessensgruppe, direkt in den Forschungsprozess eingebunden, Forschung mit dem Kind, nicht über das Kind“.

 Mit der Kamera Grenzen überwinden

 Die Kinder wählten unterschiedliche Formen der Begehung. Am bedeutsamsten für die Kinder aber war, dass sie das Medium Kamera nutzen konnten, um räumliche Grenzen zu überwinden, Neues, Unbekanntes zu erforschen und so ihre Neugierde zu befriedigen. Dabei nahmen die Kinder die Forscher als Partner wahr, die ihnen diese Zugänge eröffneten. Deutlich wurde auch, dass die Kinder bereits Altersdifferenzierungen vornehmen, die sich auf die Regeln im Kindergarten auswirken. Bestimmte Rutschen beispielsweise, werden nur von den Älteren benutzt, womit sie das Miteinander im Kindergarten mitstrukturieren und zuweilen auch hierarchisieren. Die Erkenntnisse und das Datenmaterial aus dem Projekt wird nun in der Aus- und Weiterbildung von PädagogInnen genutzt.

 Mehr dazu im Blog für Forschung und Methoden in der Kindheitspädagogik

 

Pädagogik vom Kind her denken

  Einem Symbol der Kinderrechte war dieser Tage an der Pädagogischen Hochschule im 10. Wiener Gemeindebezirk ein internationales Symposium gewidmet: Janusz Korczak, 1878 in Warschau in eine vermögende jüdische Familie hineingeboren, war Kinderarzt, Schriftsteller, vor allem aber visionärer Pädagoge. Seine Ansichten und Überzeugungen waren das komplette Kontrastprogramm zum Denken der damaligen Zeit, in der man Kindern absoluten Gehorsam abverlangte und ihren Status weit unter jenem der Erwachsenen ansah. Ganz anders die Gedankenwelt Korczak`s. Er sah das Kind als Individuum, dem man zuhören und von dem man lernen sollte. Er sah es als selbständige Persönlichkeit, die dem Erwachsenen gleichberechtigt war, und er setzte auf Partizipation. Korczak formulierte seine Gedanken nicht in einer systematischen Pädagogik, wie der Erziehungswissenschafter Univ.-Prof. Dr. Karl Garnitschnig in seinem Referat ausführte, sondern in Form einer fantastischen Erzählung, weil ihn sonst die Menschen dieser Zeit nicht verstanden hätten. Wie sollten sie auch? Damals war das Leben der Kinder von Zucht, Ordnung und Gehorsam geprägt. Körperliche Strafen standen an der Tagesordnung. Korczak`s Aussagen klangen in dieser autoritären Welt als revolutionär und realitätsfern. Er verlangte, das Verhalten der Kinder genau zu beobachten und ihre Reaktionen auch exakt schriftlich festzuhalten. Eine wissenschaftliche Herangehensweise, die er aus der Medizin, aus der er kam, ableitete. Schon als 5-Jähriger sprach er davon, dass er die Welt verändern möchte, und später dann, als Leiter zweier Waisenhäuser, wollte er mit seiner Erziehung die Gesellschaft verändern, sie demokratischer gestalten. Er bezeichnete Kinder als unterdrückten Teil der Gesellschaft und setzte sich sein Leben lang gegen deren Unfreiheit ein. Korczak forderte von Lehrern und Erziehern eine kritische Haltung und Reflexion, die notwendig sind, um Fehler in der Erziehung zu erkennen und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Garnitschnig: „Kein Wunder, dass es bald hieß: Lasst euch nicht auf Korczak ein, er ist unbequem“.

 Korczak beließ es aber nicht nur bei theoretischen Abhandlungen, er setzte seine Überzeugungen sehr erfolgreich in die Praxis um. Ab 1912 leitete er das Waisenhaus „Dom Sierot“, sieben Jahre später kam „Nasz Dom“ hinzu. Rund 200 Kinder hielten sich gleichzeitig bis zum 14. Lebensjahr in den Warschauer Waisenhäusern auf und erhielten dort nicht nur Bildung, sondern sie entwickelten auch eine selbstbewusste, auf Eigenverantwortung gegründete Persönlichkeit. Sie wurden dort zu selbstbestimmten Jugendlichen, die in geistiger Freiheit entlassen wurden.

 

Ein großer Themenbogen wird beim heurigen Janusz Korczak-Symposium gespannt, das am 29. und 30. April 2022 in der Pädagogischen Hochschule im 10. Wiener Gemeindebezirk stattfindet. Experten aus Deutschland, der Schweiz und Österreich werden die Erwartungen an eine kindergerechte Pädagogik beleuchten und dabei Bezug auf den pädagogischen Erneuerer und Vordenker Janusz Korczak nehmen.

 Agata Skalska M.A, Kindheitspädagogin an der Hochschule Düsseldorf, wird über die Themen Partizipation und Rechte der Kinder sprechen. Sie kritisiert, dass in einer von Erwachsenen dominierten Lebenswelt Kinder nur eingeschränkte Artikulations- und Einflussmöglichkeiten hätten. Kinder sollten jedoch nicht nur ein Recht auf Mitwirkung bei den sie direkt betreffenden Bereichen haben, sondern auch bei gesellschaftlich relevanten Themen, die sie indirekt oder erst viel später betreffen würden. Auch bei der Wissensproduktion sollten sie mit einbezogen werden, so Skalska.

Prof. Michael Kirchner von der Universität Bielefeld wird mögliche Bedingungen für ein gelingendes Zusammenleben zwischen Kindern und Erwachsenen am Beispiel der Waisenhäuser „Dom Sierot“ und „Nasz Dom“ in Warschau reflektieren. Dort hat Janusz Korczak seine wegweisende Pädagogik der Achtung in die Praxis umgesetzt. Anhand dieses “pädagogischen Raums“, wie Kirchner die beiden Waisenhäuser bezeichnet, lassen sich vier zwischenmenschliche Beziehungen ausmachen, die ein gutes Zusammenleben fördern. Kirchner betont vor allem die Bedeutung von Kooperation und Solidarität in den zwischenmenschlichen Beziehungen.